PPP-RL: Das Leben ist eine Baustelle

Holger Montag

Autor:
Veröffentlicht am: 23.06.2022


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PPP-RL: Das Leben ist eine Baustelle

Für die personelle Ausstattung in Kliniken mit den Fachbereichen Psychiatrie und Psychosomatik gelten seit dem 01.01.2020 die Vorgaben der – Achtung, Luft holen – Richtlinie über die Ausstattung der stationären Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik mit dem für die Behandlung erforderlichen therapeutischen Personal gemäß § 136a Absatz 2 Satz 1 SGB V (PPP-RL).

Sie wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beschlossen und löste die seit 1990 geltende Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) ab.

Was ist der G-BA?

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen. Er ist vom Gesetzgeber unter anderem mit Maßnahmen zur Qualitätssicherung in Praxen und Krankenhäusern betraut.

Was genau regelt die Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie (PPP-RL)?

Ziel der PPP-RL ist die inhaltliche und personelle Weiterentwicklung der Versorgung psychisch erkrankter Menschen. So soll die Qualität der stationären psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung durch einen bundesweiten Mindeststandard in der Personalausstattung in den etwa 600 betroffenen Krankenhäusern gesteigert werden.

Die in der Richtlinie festgelegten Mindestpersonalvorgaben sind verbindlich und von den einzelnen Einrichtungen für die jeweilige therapeutisch und pflegerisch tätige Berufsgruppe zu berechnen. Weitere Berufsgruppen und Hilfskräfte können teilweise angerechnet werden. Als Grundlage dieser Berechnungen dienen berufsgruppenspezifische Wochenminutenwerte sowie die Schweregrade der jeweiligen Behandlungsbereiche.

Die PPP-RL gibt den Mindeststandard in der Personalausstattung vor.

Weshalb überhaupt Vorgaben in der Personalausstattung?

Die Definierung der personellen Mindestvorgaben ist wiederum im Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) festgeschrieben. Ihre Einhaltung muss jede Einrichtung dokumentieren und die Nachweise zur Auswertung an die entsprechenden Prüfinstanzen übermitteln (Krankenkassen, IQTIG, Landesaufsichtsbehörde).

Mindestbesetzung für Psychiatrie und Psychosomatik

Mehrkosten durch PPP-RL?

Obwohl die PPP-RL der früheren Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) ähnelt, bedeutet sie für die betreffenden Krankenhäuser in der Regel eine Vielzahl neuer Regelungen, eine große Nachweistiefe – und höhere Kosten. Dabei ist die PPP-RL im Gegensatz zur Psych-PV ausdrücklich kein Instrument zur Personalbemessung. Sie gibt bloß eine personelle Mindestbesetzung in den Bereichen Psychiatrie und Psychosomatik vor.

Dass diese kein ideales Verhältnis zwischen Patienten und Personal, sondern lediglich eine personelle Besetzungsuntergrenze bildet, wird durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ausdrücklich betont. Dennoch muss Schätzungen der AOK zufolge jede zweite Klinik Personal aufstocken, um die Regelungen der PPP-RL erfüllen zu können.

Die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung PpUGV

Personelle Vorgaben existieren auch im Pflegebereich. Dort werden sie über die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV) definiert. Über die Hintergründe, die Umsetzung und die Kritik an der PpUGV hatten wir bereits in mehreren Blog-Artikeln berichtet, so etwa in PpUGV 2022: Neues Jahr, neue Bereiche oder PpUGV 2021: Was ist neu?

Stärkung von Berufsgruppen und Bereichen

Ein Grund hierfür liegt in der Stärkung bestimmter Bereiche gegenüber der Psych-PV. So erfährt die Arbeit von Psychologen und Psychotherapeuten sowie aller Berufsgruppen der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der PPP-RL eine deutliche Aufwertung. Auch wird für die neu eingeführte komplexe Psychotherapie und für die Intensivbehandlung psychisch erkrankter Erwachsener mehr Personal veranschlagt.

Bei der Berechnung der Mindestpersonalvorgaben galt es für den G-BA unter anderem, die unterschiedlichen Qualifikationen und die damit verbundenen berufsrechtlichen Kompetenzen der Psychotherapeuten zu berücksichtigen, die bedingt durch die Reform des Psychotherapeutengesetzes unterschiedliche Qualifizierungswege durchlaufen.

Die Arbeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie wird durch die PPP-RL aufgewertet.

Die Reform des Psychotherapeutengesetzes

Seit 2020 tragen Absolventen bereits nach ihrem Bachelor- und Masterstudium die Berufsbezeichnung "Psychotherapeut:in" – und können so früher als bisher im Personalschlüssel berücksichtigt werden, um die geforderten Mindestpersonalvorgaben zu erfüllen. Bisher mussten sie nach ihrem Studium hierfür erst noch eine psychotherapeutische Ausbildung durchlaufen.

Stationsgröße, Therapie- und Versorgungsformen

Die Stationsgröße in Kinder- und Jugendpsychiatrien wird in der PPP-RL vorgegeben.

Doch nicht nur die Berufsgruppen standen bei der Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie (PPP-RL) im Vordergrund. Weitere Schwerpunkte beinhalten die Therapieformen und die jeweilige Stationsgröße. Psychiatrische Stationen etwa sollen nicht mehr als 18 Betten beinhalten. Für Kinder- und Jugendpsychiatrien gilt eine maximale Anzahl von zwölf Betten.

In der Psychosomatik wird es künftig sowohl einen psychotherapeutischen als auch einen psychosomatisch-psychotherapeutischen Behandlungsbereich geben.

Außerdem werden neue Versorgungsformen wie die stationsäquivalente und die komplexe psychotherapeutische Behandlung sowie Genesungsbegleiter berücksichtigt. Das sind Menschen, die selbst eine psychische Krankheit bewältigt haben und für den sozialpsychiatrischen Dienst ausgebildet wurden.

Klingt so weit gut. Warum wird die PPP-RL dann kritisiert?

Über die Gewichtung bestimmter Therapieformen wurde in der Vergangenheit bereits gestritten. Größter Kritikpunkt an der PPP-RL ist aber die Methode, nach der sich die Mindestpersonalvorgaben errechnen. Die Vorgaben seien zu starr und kleinteilig, der bürokratische Aufwand groß. 

Selbst der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) räumt ein, dass die Ermittlung entsprechender personeller Kennzahlen anhand evidenzbasierter Studien bislang viele rechtliche und fachliche Fragen offengelassen hat.

Eine Überprüfung empirischer Daten könnte als Grundlage für Nachbesserungen an der PPP-RL dienen. "Die notwendigen Aufträge hierfür sind erteilt", so Karin Maag, unparteiisches Mitglied des G-BA und Vorsitzende des Unterausschusses Qualitätssicherung. Sie sieht in den Änderungen zum Fachbereich Psychotherapie lediglich einen ersten Schritt bei der Erfüllung des gesetzlichen Auftrags.

 
Bringt die PPP-RL zu viel Bürokratie?

Das Plattform-Modell

Minutenwerte und Behandlungsdimensionen sollen bei der Personalbemessung helfen.

Das so genannte Plattform-Modell soll eine bedarfsgerechte Personalbemessung ermöglichen. Es basiert ebenfalls auf Minutenwerten, aber auch auf einer Unterteilung in die Behandlungsdimensionen Psychiatrischer, Somatischer und Psychosozialer Regelbedarf.

Bis 2024 prüfen Wissenschaftler der Universität Ulm im Rahmen des Forschungsprojektes EPPIK, inwieweit das Plattform-Modell zur Errechnung des Personalbedarfs in psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen geeignet ist. Ihre Erkenntnisse fließen auch in die Weiterentwicklung und Evaluation der PPP-RL ein, die bereits mit deren Erstfassung festgelegt wurden.

Sanktionen bei Unterschreiten der Mindestpersonalvorgaben

Vorläufig jedoch gelten die in ihr definierten, personellen Mindestanforderungen. Werden sie unterschritten, drohen Kliniken Sanktionen bis hin zum Vergütungsausschluss. 

Zumindest theoretisch. Denn Verbände wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) fordern ebenso wie die Gesundheitsministerkonferenz (GMK), die geplanten Sanktionen bis zur Überarbeitung der PPP-RL auszusetzen. Also bis 2025.

Die gegenwärtige Fassung der PPP-RL biete keine Anreize für eine patientenzentrierte, leitlinie- und bedarfsgerechte, flexible und wohnortnahe Versorgung. Das psychiatriepolitische Ziel einer gemeindenahen stationären Versorgung sei in Frage gestellt, so die Gesundheitsministerkonferenz. 

Die Sanktionen reichen bis zum Vergütungsausschluss.

Übergänge und Ausnahmen

Der Bedarf an psychosozialer und psychischer Behandlung ist gestiegen.

In Folge der Corona-Pandemie habe auch der Bedarf an psychosozialer und psychischer Behandlung zugenommen. Es müsse sichergestellt werden, dass der Klinikbetrieb nicht durch starre und kleinteilige Vorgaben und Sanktionen gefährdet werde.

Wobei in der Richtlinie bereits formuliert ist, dass bei ungewöhnlich hohen Patientenzahlen oder Personalausfällen Ausnahmen für die Einhaltung der Mindestpersonalvorgaben gelten. Auch stellt eine Übergangsregelung sicher, dass diese in der Praxis nicht zu Versorgungsproblemen führt. Aus diesem Grund werden die Vorgaben stufenweise eingeführt und Sanktionen erst nach einer Übergangsfrist verhängt.

Gegenwärtig gilt: Werden die Mindestpersonalvorgaben einrichtungsbezogen über einen Zeitraum von drei Monaten zwar fristgerecht, aber nicht vollständig erfüllt, führt dies in der Psychiatrie ab 2023 und in der Psychosomatik ab 2024 zu einem Vergütungswegfall.

Die Feinarbeit folgt noch

Eines steht bereits fest: Die PPP-RL wird in ihrer jetzigen Form nicht von Dauer sein. Fortlaufende Rückmeldungen aus der Versorgung und die Erkenntnisse aus den abgeschlossenen Studien dürften schon bald zu Nachbesserungen und Konkretisierungen führen. 

"Der G-BA verweigert sich hier also nicht", betont dessen Vorsitzende Katrin Maag. Dennoch sei sie sicher, dass die PPP-RL "immer wieder hinterfragt und kritisiert" werde.

Das war und ist auch im Pflegebereich so. Kein Wunder, zwingen personelle Mindestvorgaben die Betreiber von Kliniken doch dazu, auf dem ohnehin hart umkämpften Arbeitsmarkt noch stärker als bisher um die wenigen verfügbaren Fachkräfte zu werben. 

Die PPP-RL wird noch viele Nachbesserungen erfahren.

Ob nun PPP-RL oder Plattform-Modell: Eine möglichst optimale personelle Ausstattung und Patientenbetreuung in den Fachbereichen Psychiatrie und Psychosomatik steht zwangsläufig im Konflikt mit der möglichst hohen Wirtschaftlichkeit eines Krankenhauses. Sowas nennt man wohl einen Interessenskonflikt.


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