Rettungsdienst + Privatleben = Passt!

Holger Montag

Autor:
Veröffentlicht am: 24.09.2020


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Rettungsdienst + Privatleben = Passt!

Das Projekt FAIR

Vor einem Jahr berichteten wir in unserem Blogbeitrag über das Projekt FAIR (= Flexible Arbeitszeitmodelle im Rettungsdienst) zur lebensphasenorientierten Arbeitszeitgestaltung, welches in zwei rheinland-pfälzischen Rettungswachen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Rheinhessen-Nahe durchgeführt wurde. Ziel des Projekts: die Zufriedenheit und Gesundheit der Mitarbeiter durch flexiblere Dienstplanung erhöhen.

Die Zwischenergebnisse des bis von Juni 2018 bis Dezember 2020 laufenden Modellprojekts wurden nun vorgestellt und die gewonnenen Erkenntnisse genutzt, um künftig allen Mitarbeiter des DRK Rheinhessen-Nahe und des ebenfalls am Projekt FAIR beteiligten DRK Westpfalz mehr Flexibilität im Schichtbetrieb bieten zu können.

Früher war alles besser? Nein, oder?

Nie mehr Nachtdienst?

Nehmen wir an, in Ihrem Unternehmen würde die Möglichkeit geschaffen, Dienste offiziell zum Tausch anzubieten, Nachtdienste dauerhaft abzugeben oder Schichten unter mehreren Teilzeitkräften aufzuteilen. Würden Sie, Ihre Mitarbeiterinnen oder Ihre Kollegen sich über diese Optionen freuen - oder lieber an den bestehenden Arbeitszeitregelungen festhalten?

Eine spannende Frage, mit welcher sich die Initiatoren und die Mitarbeiter der beiden am Modellprojekt FAIR beteiligten Rettungswachen beschäftigen mussten. Und darüber hinaus eine, mit der im Vorfeld nicht unbedingt zu rechnen war. Schließlich wurde das Projekt ersonnen, um die Work-Life-Balance der DRK-Mitarbeiter zu verbessern – und nicht, um diese zu erschüttern.

Nur wer mag: Die Lebensphasenorientierung

Vor der Realisierung des Projektes stand also die Aufklärung über die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Ziele der Lebensphasenorientierung. Wer seinen langfristig festgelegten Rahmendienstplan bevorzugt, sollte diesen beibehalten dürfen. Für diejenigen Mitarbeitern aber, deren Dienstplan nur unzureichend mit dem Privatleben zu vereinbaren war, galt es neue und attraktive Angebote zu schaffen.

Die Ziele der Lebensphasenorientierung lauteten unter anderem:

  • Entwicklung und Erhaltung der nachhaltigen Leistungs- und Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter,
  • bessere Vereinbarkeit von individuellen Lebenssituationen und beruflichen Anforderungen,
  • Vermeidung von Brüchen in der Erwerbsbiografie,
  • Erhöhung der Mitarbeitermotivation,
  • bessere Personalgewinnung und die langfristige Bindung von Beschäftigten,
  • kurz: Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität und der Mitarbeiterzufriedenheit.
Mehr vom Privatleben durch mehr Möglichkeiten

Ob Eltern- oder Partnerschaft, das eigene Alter oder die Pflege von Angehörigen, persönliche Krisen, Weiterbildungen oder Hobbys: Viele Lebenssituationen machen eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung nötig. Ist dies nicht möglich, - weil beispielsweise der Schichtbetrieb in Rettungsdiensten, Klinik- oder Pflegebereichen per se eine Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben erschwert -, werden Leistungsfähigkeit und Motivation der Mitarbeiter ausgebremst. Nicht selten wechseln diese sogar ihren Beruf.

Immer auf die Kleinen: Flexibilität nur von Eltern gewünscht?

An Gewohnheiten rütteln?

Dennoch stieß der Steuerkreis des Projektes FAIR nicht nur auf Begeisterung, als er nach Rettungswachen Ausschau hielt, deren Mitarbeiter Interesse an individuelleren Arbeitszeitlösungen hatten. Schließlich haben die im Schichtbetrieb arbeitenden Menschen ihr Privatleben im Lauf der Jahre den beruflichen Abläufen angepasst und auch Nacht- und Wochenenddienste bilden eine feste Größe in ihrem persönlichen Lebensgefüge.

So überrascht es nicht, dass eine mögliche Veränderung dieses Gefüges bei einigen Mitarbeitern der Rettungswachen Skepsis hervorrief und zunächst vor allem Eltern kleinerer und schulpflichtiger Kinder Bedarf äußerten, Beruf und Privatleben durch eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung besser in Einklang bringen zu können.

Aller Anfang ist ein Fragebogen: Die Bestandsaufnahme

Die Beschäftigten der an dem Projekt beteiligten Rettungswachen wurden zunächst anhand teilstandardisierter Fragebögen zu Belastungen im Beruf, seinen gesundheitlichen Auswirkungen und seiner Vereinbarkeit mit ihrem Privatleben befragt. Zwei Mitarbeiter des Projektträgers Arbeit & Leben nahmen bestehende Änderungswünsche an. Sie regten die DRK-Beschäftigten zum Querdenken an, organisierten interaktive Workshops und führten den Steuerkreis.

Schnell stellte sich heraus, dass die vermeintlich so etablierten Dienstpläne bereits an einigen Stellen von Hand flexibilisiert wurden. Der Diensttausch unter Kollegen wurde im Vorfeld abgesprochen und den Vorgesetzten zur Genehmigung vorgelegt. Einsatzwünsche wurden – hauptsächlich von Teilzeit-Mitarbeitern – zwar abgegeben, mussten aber durch die Dienstplaner noch abgestimmt und umbesetzt werden.

Fragebögen halfen im Vorfeld bei der Bedarfsanalyse

Los geht’s: Erste Maßnahmen in der Erprobungsphase

Direkttausch leicht gemacht

Auf Basis dieser Lösungen und vieler weiterer Wünsche und Ideen erarbeitete der Steuerkreis Angebote und Maßnahmen. Die beiden beteiligten DRK-Rettungsdienste tauschten sich über die eingereichten und erarbeiteten Vorschläge ihrer Mitarbeiter und der Projektträger aus.

Im Zuge der Projektrealisierung innerhalb der Testphase (Oktober 2019 bis März 2020) wurden der Direkttausch und die Tauschbörse eingeführt. Dienste konnten unkompliziert getauscht und beispielsweise Tagdienste aktiv angeboten werden. Die Arbeitszeitkonten der Rettungsdienst-Mitarbeiter blieben durch den 1:1-Tausch unangetastet. Eine Maßnahme, die bei der Belegschaft sehr großen Anklang fand.

Auch das Gesundheitsmanagement erfuhr eine Aufwertung. Ältere Mitarbeiter durften die für sie besonders belastenden Nachtdienste abgeben. Wer einen gesundheitspräventiven Kurs besuchte, konnte einfacher als bisher seinen Dienst tauschen. Die Vorgesetzten prüften, ob die Rettungsmittel korrekt besetzt sind, und bestätigten das Tauschanliegen.

Schicht für Schicht: Teilen macht Freude

Sogar eine Schichtenteilung unter drei Kolleginnen wurde durch das Projekt FAIR ermöglicht. Eine Mitarbeiterin übernahm die Frühschicht (6 Stunden) im Rettungswagen bis zur Pause um 13:00 Uhr, ihre Kollegin den Teil ab 13:00 Uhr für weitere 6 Stunden. War eine Kollegin erkrankt, übernahm eine dritte deren Schichtanteil. Ganz unbürokratisch.

Dieses Modell bewährte sich so gut und stieß auf so großes Interesse, dass es später in der Erprobungsphase ausgeweitet und auch für andere DRK-Mitarbeiter angeboten wurde – vorzugsweise für die eingangs erwähnten Eltern kleinerer Kinder und Mitarbeiter, die Angehörige pflegen.

Ineinander verzahnte Schichtenteilung

Beim Wort genommen: CareMan

Mehr Zeit für die Pflege Angehöriger

Der Name des DRK-Dienstplanprogramms erfuhr im Rahmen der Projektumsetzung eine neue Bedeutung. Nicht nur die Betreuung von Kindern, sondern auch die pflegebedürftiger Personen sollte erleichtert und unterstützt werden – für manche ein Tabuthema, das erst durch das Projekt diskutiert wurde. Ältere Mitarbeiter wurden entlastet, individuelle Bedürfnisse berücksichtigt.

Die bereits angesprochenen Möglichkeiten zu Schichttausch und -teilung und das proaktive Anbieten von Elternteilzeit bildeten jedoch nur einen der „Eckpfeiler“ des Projekts FAIR. Denn zu einer qualitativen Verbesserung des persönlichen Arbeitsumfeldes gehören in den Augen der Projektleitung auch eine optimierte Unternehmenskommunikation und Personalführung.

Übrigens: Eine aktive Beteiligung der Mitarbeiter an der Dienstplanung und Interesse des Arbeitgebers für deren individuelle Lebenssituation hilft auch beim Einplanen von Krankheitsvertretungen. Näheres erfahren Sie in unserem Blog-Beitrag Wie verbessere ich mein Ausfallmanagement? 

Transparenz und ein Herz für die individuellen Belange der DRK-Mitarbeiter 

Einheitliche Ansprechpartner, klare Kommunikationsstrukturen und eine transparente Gestaltung von Zuständigkeiten standen auf der Prioritätenliste ganz oben. 

Die Wachenleitungen wurden vom Projektträger Arbeit & Leben unterstützt, für die Interessen der Belegschaft sensibilisiert und für die Umsetzung der Ziele des Projekts qualifiziert.

So wurden Mitarbeiter proaktiv nach eigenen Ideen befragt und „Offenheit für Lebensphasen und Bedarfe der Beschäftigten“ signalisiert. 

Für beeinträchtigte Mitarbeiter wurden Beschäftigungsperspektiven ersonnen, für solche in Auszeit ein „Kontakthalteprogramm“ entwickelt.

Das Eckige muss ins Runde: Ein Herz für die individuellen Belange der Belegschaft

Wo ein Pro ist, ist auch ein Contra

Rettungswagen treffen nicht immer pünktlich ein

Dass beim Hobeln gewohnter Strukturen auch „Späne“ in Form von Nachteilen abfallen, ist keine neue Erkenntnis. Wenn Mitarbeiter wegen eines Diensttausches oder einer unterteilten Schicht die Wache wechseln „müssen“, weil sich ihr Tauschpartner nicht in der heimischen Rettungswache findet, nehmen sie dies als Preis für mehr Flexibilität aber gerne in Kauf.

Eine Schichtenteilung kann für das Unternehmen Mehrkosten in Form von Überstunden produzieren. Haben sich wie im genannten Beispiel mehrere Mitarbeiter auf eine 6/6-Unterteilung der Tagesschicht geeinigt und trifft der Rettungswagen wegen eines Einsatzes erst weit nach 13:00 Uhr wieder in der Rettungswache ein, verlängert dies die Arbeitszeit des eigentlich bis zur Pause eingeteilten Mitarbeiters – während sein Kollege ab 13:00 Uhr in der Wache auf seinen Einsatz wartet.

Jetzt mal im Ernst: Lebensphasenorientiertes Arbeiten für alle

In der erfolgreichen Erprobungsphase von FAIR wurden also nicht nur die Ideen der Mitarbeiter umgesetzt, sondern auch Lösungen für die dabei auftretenden Probleme gefunden. Schließlich soll das Projekt nicht als Modellversuch enden, sondern in ein Arbeitskonzept übergehen, das für alle 750 Mitarbeiter des DRK-Rettungsdienstes Rheinhessen-Nahe und auch für die Mitarbeiter des DRK Westpfalz Anwendung findet.

Wach- wie Rettungsdienstleitung des DRK Rheinhessen-Nahe erfuhren im Juni 2020 im Rahmen einer Outdoorveranstaltung in Schulungen, welche Möglichkeiten der Dienst(um)planung künftig bestehen werden. Am 1. Juli 2020 wurde das Konzept schließlich allen Mitarbeitern vorgestellt und von diesen interessiert aufgenommen.

Ein neues Konzept für alle Mitarbeiter

Ziemlich ausgeglichene Freunde

Öfter Freunde treffen + mehr Zeit für die Familie: Das Projekt FAIR

Ob flexiblerer Dienstplan, Diensttausch oder Teilung der Tagschicht: Ihnen stehen viele neue Möglichkeiten zur Verfügung, ihre Arbeit den individuellen Bedürfnissen etwas besser anzupassen. 

Durch den unmittelbaren Bezug zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement wird deutlich, dass diese neuen Optionen der Erhaltung der Gesundheit aller DRK-Beschäftigten dienen – und damit ihrer Arbeitskraft und Motivation.

Das Konzept trägt erste Früchte: Die Tauschbörse erfreut sich seit der offiziellen Präsentation der Projektergebnisse einer regen Nachfrage. Ein Zeichen dafür, dass der Bedarf nach mehr Möglichkeiten im eigenen Dienstplan vorhanden ist.

Doch werden nicht nur die DRK-Mitarbeiter selbst, sondern auch deren Familien und ihr soziales Umfeld dankbar für etwas mehr Flexibilität im Alltag sein. Für entspanntere Eltern, fürsorgliche Angehörige, ausgeglichene Freunde. Solche, die einem neuerdings Tipps zur Verbesserung der eigenen Work-Life-Balance geben können. 

Zum Beispiel bei einem jener Spaziergänge oder Telefonate, die wegen des starren Schichtbetriebs früher aufgeschoben wurden.

Motivation und Unternehmensimage

Wertgeschätzte und zufriedene Mitarbeiter sind kein Luxus. Nachweislich steigen deren Motivation und Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen, je mehr sie sich mit diesem und ihrer Arbeit identifizieren. Unser Blog-Beitrag New Work: Marx und der Bergmann schildert, wie Arbeit im 21. Jahrhundert aussehen sollte. Auch unser Artikel Alles so schön grün hier: Das klimaneutrale Unternehmen zeigt auf, dass die Identifikation mit dem eigenen Unternehmen gerade in Zeiten des Fachkräftemangels immens wichtig ist. 

Das Team hinter FAIR

Das Projekt wurde vom Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie gefördert und durch den Weiterbildungsträger Arbeit & Leben gGmbH als Projektträger betreut. 

Der eigentliche Steuerkreis bestand aus Mitgliedern der Geschäftsführung, des Qualitäts- und betrieblichen Gesundheitsmanagements, des Betriebsrats, der Öffentlichkeitsarbeit, dem Leiter des Rettungsdienstes und der Wachleitung beider Rettungswachen. 

Themenbezogen wurden jedoch auch kleinere Arbeitsgruppen gebildet, um einzelne Aufgabenstellungen flexibel lösen zu können.

Das Projekt FAIR

Empathischer Arbeitgeber und große Familie - auch dank FAIR

Vom Notfallsanitäter über die Rettungsdienstleitung bis hin zum Gesundheits- und Alter(n)smanagement: 

Viele begeisterte Stimmen sympathischer DRK-Mitarbeiter bestätigen den Erfolg des eingeschlagenen Weges in der lebensphasenorientierten Arbeitszeitgestaltung und der Flexibilisierung der Dienstplanung. 

Die Formel Rettungsdienst + Privatleben = FAIR bedeutet für viele Mitarbeiter nicht nur ein Plus an Lebensqualität, sondern auch an Wertschätzung durch den Arbeitgeber.

Sehen Sie hierzu auch das Video des DRK-Rettungsdienstes Rheinhessen-Nahe zum Projekt FAIR.

Die Dienstplanung ist zentraler Baustein der Arbeitszeitgestaltung. Die Rettungsdienste des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Rheinland-Pfalz setzen zur Erstellung der Dienstpläne die Software zur Personaleinsatzplanung OC:Planner der SIEDA ein. Die Erkenntnisse aus dem Projekt FAIR sollen auch in die Weiterentwicklung der Software einfließen. Deshalb begleitet die SIEDA das Projekt von Beginn an aufmerksam und intensiv. Wir freuen uns, dass dieses erfolgreich in die laufende Dienstplanung integriert wurde.


Fotos: SIEDA/FOTO by Sousa - iStock.com/Halfpoint - iStock.com/Willopix -  iStock.com/Fokussiert - iStock.com/RapidEye - iStock.com/Antonio Guillem - DRK Rhein-Nahe - iStock.com/NUMAX3D - iStock.com/Goodboy Picture Company - iStock.com/ayzek - DRK Rhein-Nahe (2x) - iStock.com/Ridofranz 


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